In New York kam es am 9. Jänner in einem Wohnhaus zu einem verheerenden Brand mit 17 Toten, zwei Tage später starben in Philadelphia zwölf Personen bei einem ähnlichen Ereignis. Unter den Toten befanden sich tragischerweise Kleinkinder: acht in New York, fünf in Philadelphia. Erneut forderte Brandrauch, der sich über Stiegenhäuser ausbreitete und Fluchtwege versperrte, eine große Anzahl an Opfern. Sind solche Ereignisse auch auf Europa übertragbar? Leider ja
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erheerende Brände wie jene in den USA kommen leider auch hierzulande immer wieder vor. Zwar ist die Situation im Vorbeugenden Brandschutz in den USA eine andere, die grundlegenden Probleme sind aber auch in Europa ähnlich. Vor allem das Verhalten der Personen im Gefahrenbereich bzw. bei der Flucht, die Rauchausbreitung und die damit verbundene dynamische Brandentwicklung sowie der Einsatz und das Vorhandensein geeigneter Rettungsmittel entscheiden über
Verheerende Brände wie jene in den USA kommen leider auch hierzulande immer wieder vor. Zwar ist die Situation im Vorbeugenden Brandschutz in den USA eine andere, die grundlegenden Probleme sind aber auch in Europa ähnlich. Vor allem das Verhalten der Personen im Gefahrenbereich bzw. bei der Flucht, die Rauchausbreitung und die damit verbundene dynamische Brandentwicklung sowie der Einsatz und das Vorhandensein geeigneter Rettungsmittel entscheiden über Erfolg und Misserfolg im Einsatz.
Erfolg und Misserfolg im Einsatz.
Ludwigshafen 2008. Einer der dramatischsten Brände im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahrzehnten ist wohl der Wohnhausbrand in Ludwigshafen im Jahr 2008: Neun Tote und mehr als 60 Verletzte waren zu beklagen. Besonders in Erinnerung blieben die Bilder jenes Säuglings, der aus einem Fenster im 3. Stock geworfen und glücklicherweise von einem Polizisten aufgefangen wurde. In besagtem 3. Stock fand man auch die meisten Opfer, 47 Personen wurden über Leitern und Drehleitern gerettet. Obwohl die Feuerwehr schon zwei Minuten nach dem ersten Notruf vor Ort war, konnte die Eskalation der Lage nicht mehr verhindert werden. Der Brand hatte sich schnell über das hölzerne Stiegenhaus ausgebreitet und den Bewohnern den Fluchtweg abgeschnitten. Kurz darauf stürzte die Stiege ein, es kam zur Panik im Haus – für einige Bewohner schien der Sprung aus dem Fenster der einzige Ausweg. Szenen, die sich auch bei den Brandereignissen in den USA ähnlich darstellten. Beim Brand in New York wurde beim Flüchten die betroffene Wohnungstür nicht geschlossen, das Stiegenhaus war sofort verraucht und als Fluchtweg unbrauchbar. Rein formal beginnt der Einsatz der Feuerwehr mit dem Notruf und der Alarmierung. Was sich aber bei den genannten und vielen anderen Fällen immer wieder zeigt, ist, dass die Reaktion und das Verhalten der Betroffenen selbst schon frühzeitig sehr viele Eckpunkte des weiteren Einsatzverlaufes festlegen. Weit vor dem Eintreffen der Feuerwehr. Das reine Vorhandensein von Rauchmeldern oder Brandmeldeanlagen ist dabei nur die halbe Miete. Wie der Brand in New York zeigte, waren die Bewohner des Gebäudes an häufige Fehlalarme der Brandmeldeanlage „gewöhnt“, die Reaktion auf das Ereignis erfolgte somit verzögert. Die geöffnete Wohnungstür trug zur weiteren Eskalation bei, und dass, obwohl die Feuerwehr schon drei Minuten (!) nach dem Erstalarm eintraf.
Allein die Forderung nach geeigneter Technik im Brandschutz ist also unzureichend, auch die Schulung der Bevölkerung im Hinblick auf das richtige Verhalten im Brandfall hat zentrale Bedeutung. Initiativen wie „Gemeinsam Sicher Feuerwehr“ (www.gemeinsam-sicher-feuerwehr.at) demonstrieren, wie dies zum Beispiel schon im Rahmen der Schulbildung erfolgen kann.
Präventionsparadoxon. Das aus der derzeitigen Pandemielage gut bekannte Präventionsparadoxon ist auch im Zusammenhang mit solchen großen Brandfällen übertragbar. Die generelle Problematik liegt bei Präventionsmaßnahmen darin, dass sie als immer weniger relevant eingeschätzt werden, je besser sie wirken. Davon sind auch der Brandschutz und das Feuerwehrwesen nicht ausgenommen. Die Anzahl der jährlichen Brandtoten ist in den letzten Jahren stabil niedrig und über die letzten Jahrzehnte gesehen stark rückläufig. Auch große Brandkatastrophen gibt es nur noch wenige (Gott sei Dank!). Es könnte also nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch innerhalb der Feuerwehren selbst der Eindruck entstehen, dass eigentlich nicht mehr wirklich mit katastrophalen Bränden zu rechnen ist. Und schon gar nicht im eigenen Einsatzbereich. Die Realität beweist immer wieder das Gegenteil. Beim Brand im Vinzenzheim in Egg (Vorarlberg, 2008) kamen elf Menschen direkt zu Tode, eine weitere Person verstarb wenige Tage später im Krankenhaus. 2016 mussten beim Brand in einem Wohnhaus in Kapfenberg 33 Personen über Drehleitern (Kapfenberg, Bruck a. d. M. und Leoben) in Sicherheit gebracht werden. 2018 wurden bei einem Brand in Leipzig 29 Personen aus einem Mehrparteienhaus gerettet, eine Person verstarb, zwei Personen retteten sich durch einen Sprung vom Dach aus fast 20 Meter Höhe in einen Sprungretter. Beim Eintreffen standen Personen bereits auf den Gesimsen im 4. OG. Die Feuerwehr setzte alle verfügbaren tragbaren Leitern und Drehleitern für die Menschenrettung ein. Auch hier war der Fluchtweg über das Stiegenhaus versperrt, ähnlich wie bei den Fällen in den USA. Zwar sind diese Einsätze relativ selten, haben aber eine enorme Tragweite und zeigen deutlich auf, wie wichtig Rettungsmittel wie Leitern, Hubrettungsgeräte, Sprungretter und Brandfluchthauben nach wie vor sind. Dies gilt für den ländlichen Raum, wo grundsätzlich niedrigere Gebäudehöhen zu erwarten sind, wie auch im urbanen Bereich. Der Wohnungsbrand in Traisen (NÖ) im Vorjahr führte dies eindringlich vor Augen. Auch hier mussten zahlreiche Bewohner über tragbare Leitern und Hubrettungsgeräte in Sicherheit gebracht werden. Das Feuer forderte ein Todesopfer und beschädigte 36 Wohnungen – diese Liste könnte man problemlos weiterführen.
Rettung über Leitern. Die zügige Rettung von Personen über tragbare Leitern oder Hubrettungsgeräte ist eine der Kernaufgaben der Feuerwehr. Sie gehört zu den Grundfertigkeiten im Brandeinsatz. Die angeführten Brandfälle zeigen dies eindringlich. Noch ehe an einen Innenangriff gedacht werden kann, sind die ersteintreffenden Kräfte gefordert, Personen über die Außenhülle des Gebäudes zu retten. Ausbildungstechnisch liegt beim Thema „Brand“ der Fokus oftmals auf dem Einsatz von Atemschutztrupps, tragbare Leitern oder Sprungrettungsgeräte sind weniger spektakulär und lösen im Zuge der Ausbildung oftmals wenig Begeisterung aus. Von der dreiteiligen Schiebleiter gar nicht zu sprechen, wenn diese wegen „geringer Einsatzzahlen“ nicht schon vom Fahrzeug entfernt wurde. Geräte wie die Hakenleiter sind nahezu vollständig aus dem Ausrüstungsstand der freiwilligen Feuerwehren verschwunden. Umso wichtiger ist es, uns selbst immer wieder in Erinnerung zu rufen, welche Bedeutung diese Rettungsmittel im Einsatz erlangen können. Über Erfolg und Misserfolg entscheiden auch hier Ausund Weiterbildung. Der Teufel steckt nämlich, auch bei so scheinbar einfachen Geräten wie einer Leiter, im Detail. Und das zeigt sich schon in der Ausbildung: Zwar wird in den einschlägigen Ausbildungsvorschriften das Aufstellen von tragbaren Leitern ausführlich erklärt, die nötigen Handgriffe bei der Menschenrettung (z. B. von bewusstlosen Personen) sind aber nicht ausreichend behandelt. Man bezieht sich vor allem darauf, wie eine Person möglichst zügig erst einmal auf die Leiter gebracht werden kann. Die entsprechende Maßnahme „M201 – Rettung von Personen über tragbare Leiter“ im Heft 122 des ÖBFV gibt hier nur einen kleinen Hinweis: „Je nach Lage (z. B. Verhalten der Person, Rauchentwicklung etc.) ist kurzfristig zu entscheiden, welche Rettungsvariante (umgehend oder mittels Sicherung) selektiert wird.“
Das angesprochene Retten ohne Sicherung stellt sowohl für die zu rettende Person als auch für die Einsatzkraft das größte Risiko dar, ist aber aufgrund des herrschenden Zeitdrucks in der Erstphase jene Variante, die am wahrscheinlichsten zum Einsatz kommen wird. Dass eine Sicherung mit Rettungsleine und Dreieckstuch in den beschriebenen Einsatzbeispielen nicht umsetzbar ist, liegt auf der Hand. Die Kollegen aus den USA kämpfen in diesem Zusammenhang mit den gleichen Problemen, haben aber schon länger geeignete Regelwerke und Trainingsprogramme entwickelt. Dadurch wird die Gefahr sowohl für die Mannschaft als auch für die zu rettende Person reduziert. Perfektioniert hat die Verwendung von tragbaren Leitern die Feuerwehr Paris. Hier kommen nach wie vor Schiebleitern, aber auch Hakenleitern bei dramatischen Rettungsaktionen im Bereich von Altbauten zum Einsatz. Im Februar 2019 wurden bei einem Brand im 16. Arrondissement von Paris 50 Personen zum Teil über Hakenleitern aus dem 7. OG (!) gerettet. Die Hakenleitern wurden dabei zum Teil über Schiebleitern hinaus vorgenommen. Die Zufahrt zum Innenhofbereich war über Drehleitern nicht möglich; acht Menschen starben.
Rauchverschluss. Seitens des Vorbeugenden Brandschutzes wird darauf abgezielt, die Fluchtwege so gut als möglich als sichere Bereiche auszubilden und somit sowohl Flucht als auch Rettung durch die Feuerwehr bestmöglich zu unterstützen. Das „Management“, also die Kontrolle und Steuerung der Rauchausbreitung, ist spätestens mit dem vermehrten Einsatz von Überdrucklüftern auch in der taktischen Ausbildung in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Unabhängig vom Einsatz von Lüftern sind die Handlungen der vorgehenden Trupps auch entscheidend für den weiteren Einsatzverlauf. Jede offene Tür, jedes geöffnete Fenster veränderte auch die Strömungssituation im Gebäude und somit die Rauchausbreitung. Im ungünstigsten Fall kann dies auch zu einer weiteren ungewollten Eskalation der Lage beitragen. Schon vor einigen Jahren erkannte das Dr. M. Reick, worauf er 2005 den heute etablierten Rauchvorhang bzw. mobilen Rauchverschluss patentieren ließ. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um eine Art Vorhang aus einer hitzebeständigen Spezialtextilie, die im oberen Bereich des Türrahmens platziert und mittels Spannsystem fixiert wird. Der Rauchvorhang schließt das obere Drittel der Tür vollständig ab und nutzt das natürliche Verhalten des Brandrauches aus, um seine Ausbreitung zu verhindern. Wird die Brandraumtür geöffnet, tritt nur mehr eine geringe Menge an Rauch aus. Durch die Fixierung im oberen Bereich des Türrahmens kann der Brandraum nach wie vor gut betreten werden, auch der Einsatz des Überdrucklüfters ist problemlos möglich, da der Raum nicht dicht vorschlossen ist, sondern nur die Ausbreitung der Rauchgase im Deckenbereich unterbunden wird. In kleineren Gebäuden kann durch den Rauchverschluss der Gesamtschaden reduziert werden, in Mehrparteienhäusern stellt der Rauchversschluss sicher, dass das Stiegenhaus so lange als möglich rauchfrei bleibt. Zusätzlich wird der Rückzugsweg abgesichert und ebenfalls rauchfrei gehalten. Der Rauchverschluss ist eines der wenigen Einsatzmittel, die von Europa aus den Siegeszug Richtung USA angetreten haben. Er zeigt aber auch, wie langsam solche Innovationen Einzug in den Einsatzalltag nehmen. Was heute als der „Game-Changer“ in der Hochhausbrandbekämpfung auch in den USA angepriesen wird, wurde im vorigen Jahrtausend erfunden und, wie erwähnt, bereits 2005 patentiert.
Falsche Taktik, große Schäden. Um die Jahrtausendwende erschien erstmals das Buch „Falsche Taktik – Große Schäden“ von Dr. Markus Pulm. Der stellvertretende Branddirektor der BF Karlsruhe beschreibt darin, wie die Nutzung von alternativen Angriffswegen die Lage gezielt entspannen kann. Ergibt z. B. die Erkundung, dass dank der geschlossenen Brandraumtür das Stiegenhaus rauchfrei geblieben ist und keine Personen vermisst werden, dann spricht nichts gegen einen qualifizierten Außenangriff. Ebenso kann ein zügiger Innenangriff die Lage schnell entschärfen, wenn in einem Mehrparteienhaus die Bewohner ihre Wohnungen nicht verlassen – Stichwort „Brandbekämpfung zur Menschenrettung“. Das somit verfolgte Aufenthaltskonzept lässt sich immer dann gut umsetzen, wenn das Gebäude dies auch zulässt. Letztendlich fatal war dieses Aufenthaltskonzept bei der Brandkatastrophe im Grenfell Tower (London). Hier wurde bis zuletzt von der Einsatzleitung das Aufenthaltskonzept verfolgt, das standardmäßig bei solchen Ereignissen Verwendung findet. Die Zusammenhänge im Rahmen dieses Einsatzes beschäftigen schon seit Jahren einen Untersuchungsausschuss, der auch einiges Verbesserungspotenzial am Vorgehen der Feuerwehr fand. Ursächlich für die Katastrophe war sicherlich die ungeeignete Fassadenkonstruktion und nicht das Vorgehen der Feuerwehr, trotzdem muss jede taktische Entscheidung auch immer vor dem Licht der tatsächlichen Lage bewertet werden. Standards sind dabei eine enorme Erleichterung für Mannschaft und Führungskräfte, müssen aber schnellstmöglich abgewandelt werden, wenn die Lage es erfordert. Frei nach dem Motto: „Wenn du merkst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab!“ Zu Katastrophen kommt es immer dann, wenn mehrere Sicherheitsebenen versagen. Dies beginnt beim Gebäude und seinen Bewohnern und reicht bis hin zu den Einsatzkräften. Nur wenn jedes Glied in der Kette gut funktioniert, können derart dramatische Ereignisse verhindert werden.
Resümee. Fortschritte in der Brandschutz- und Feuerwehrtechnik, neue taktische Ansätze und die konsequente Umsetzung der Brandfrüherkennung in Wohnbereichen haben viel zur Erhöhung der Sicherheit beigetragen. Trotzdem kommt es immer noch zu katastrophalen Brandereignissen mit zahlreichen Toten, wie in diesem Artikel beschrieben. Die grundlegenden Kenntnisse des Feuerwehrhandwerks sind also nach wie vor gefragt. Auch technische Geräte wie Schiebleiter, Hakenleiter, Sprungretter oder Rauchvorhang haben ihre Berechtigung, wenn sie auch nur selten zum Einsatz kommen. Man sollte sich von der eigenen Einsatzstatistik nicht in die Irre führen lassen, denn Brandrauch tötet – immer noch!
Quellen:
[1] M. Reick, Mobiler Rauchverschluss, Die Roten Hefte, Kohlhammer 2015 [2] M. Pulm, Falsche Taktik – Große Schäden, 9. Auflage, Kohlhammer 2020
Fotos: RENE WERSE / AFP / picturedesk.com; Adobestock; HO/AFP/picturedesk.com, ; Rotes Kreuz Bruck; FF Gratkorn